Ein auslegungsbedürftiges Testament

Testamente, die von juristischen Laien formuliert wurden, bieten häufig Anlass zu Auslegungsstreitereien.
Der Testierende hatte die Kosten einer fachkundigen Beratung bei der Testamentsgestaltung gescheut. Der Schuss geht dann nicht selten nachhinten los, weil sich Auslegungsfragen ergeben. Alle Beteiligten benötigen nun rechtlichen Beistand. Im Ergebnis werden dadurch oft weit höhere Kosten verursacht, als bei einer Beratung zur Testamentsgestaltung entstanden wären.

Ein einfaches Beispiel aus der aktuellen Praxis des Autors:
Verstorben ist eine kinderlose Dame. Von ihren vormals fünf Brüdern sind zwei bereits vor ihr verstorben.
Einer hinterlässt den Sohn Hans, der andere die Tochter Ingrid und den Sohn Rolf. Die Erblasserin besitzt zahlreiche Immobilien. In einem Testament trifft sie allerdings nur Anordnungen für ein besonders wertvolles Mehrfamilienhaus. Bezüglich dieser Immobilie verfügt sie, dass dieses Objekt ihr Neffe Hans, ihre Nichte Ingrid und ihr Neffe Rolf erhalten soll. Was aber soll diese Verfügung über die Quoten aussagen? Wollte die Erblasserin ihre Neffen und ihre Nichte zu gleichen Teilen bedenken, so dass jeder ein Drittel erhielte? Oder hatte die Erblasserin an eine Verteilung nach Stämmen gedacht, so dass auf den einen Bruder bzw. dessen Sohn Hans eine Hälfte und auf den anderen Bruder und dessen Kinder Ingrid und Rolf die andere Hälfte entfiele.

Es versteht sich von selbst, dass Ingrid und Rolf die Drittellösung für richtig halten, während Hans meint,
ihm stünde die Hälfte zu. Zur Lösung der Frage sind Umstände heranzuziehen, die außerhalb des Testaments liegen, etwa frühere Äußerungen der Erblasserin. Erfreulich wäre es gewesen, wenn die Ausdrucksweise im Testament eindeutig gewesen wäre und zukeinerlei Diskussionen Anlass gegeben hätte.